
Käse aus Époisses, Frösche, Schlösser, Hortensien
In einem Cartoon von Peter Gayman liegen zwei Hühner unter einem Sonnenschirm an einem Strand…
Sagt das eine Huhn zum anderen: »Wir wollten doch jeden Tag ein Ei legen.« Sagt das andere Huhn: »Vergiss es!«

Vor der Abfahrt stelle ich noch rasch eine kleine Kiste zusammen. In ihr ist Zeug zur Herstellung einer fotografischen Vorrichtung, die ich mir in den Tagen vor der Abfahrt noch ausgedacht habe. Die Kiste steht hinten auf der Ladefläche und schaukelt auf unserem Weg durch Burgund mit. Es sind Pappe, Schere, ein spezielles kleines Objektiv mit Balgen und Rodinal, ein klassischer Schwarzweiss- Entwickler drin. Der Fotograf macht keinen Urlaub.
Immerhin nimmt sie nicht viel Platz ein und wiegt auch fast nichts. Sie erinnert mich einfach nur daran, dass ich unbedingt noch etwas Fotografisches dringend ausprobieren will, wenn…

Wir schaukeln mit unserem alten Auto erst seit einer Woche durch die Gegend. Mir kommt aber die Zeit, in der wir unterwegs sind, schon viel länger vor. Ich halte das für ein gutes Zeichen; es sind viele kleine Dinge zu entdecken. Das Dörfchen Brianny in Burgund, mit einem alten Rechteckhof, in der wir unsere erste Ferienwohnung haben, der stille Sommerabend an der Mairie mit dem Denkmal und der Trikolore. Alle Hunde des Dorfes sind in Aufruhr, wenn wir in der Dämmerung für die letzte Runde mit Debby durch das Dorf gehen. Nachdem das Gebell verstummt ist, wird es ganz still. Das erste Licht auf der Dorfstrasse, morgens bei der ersten Runde mit Debby: Das ist das, was die Franzosen ihre »France Profonde« nennen.


Auf dem Hügelchen, das man hinter einer Schafherde sieht, stehen die Reste eines Klosters und einer Burg. Das Kloster `collegiale de la Sainte-Trinité de Thil`, auf der Butte de Thil, vermutlich in der Französischen Revolution aufgelöst, ist heute in privatem Besitz. Es wohnt jemand da. Die Musik, die man da oben hören kann, erinnert mich an das Georgel von Jean Marais als Fantomas in den Filmen mit Louis de Funès. Genauso seltsam wie die musikalischen Vorlieben von Fantomas finde ich es aber auf jeden Fall, in einer gotischen Kirche zu wohnen.
Die Tage werden wärmer, während wir noch in Burgund sind, das Programm enthält so auch längere Pausen, während der wir an zufällig gefundenen oder absichtsvoll ausgesuchten Plätzen Siesta halten.



Wir sind Flaneure.
Neben der der Kirche der Metropole Vault-de-Lugny, fließt die Cure. Für die, die, wie ich nicht wussten, was das ist: Das ist ein Flüsschen in Burgund. An seinem Ufer haben wir an der Dorfpromenade ausgiebig gefläzt. Die Stille und die flamboyante Gotik der Kirche (und die Kühle in ihr) laden ein, die Weiterfahrt noch zu verschieben.
Interessant die Kehrtechnik einer Freiwilligen in der Krypta der Kathedrale von Vézélay, die an verschiedenen – in einem, wahrscheinlich jahrhunderte altem geheimnisvollen und komplizierten Plan – festgelegten Punkten der Krypta anfängt, zu kehren, ohne den Staub hinterher auch aufzunehmen. Wahrscheinlich eine traditionelle Bußübung, von der ich Banause keine Ahnung habe.
Von Burgund und dem Ort Époisses nehmen wir Abschied, versäumen aber nicht, köstlichen Käse (er trägt den Namen des Ortes) mitzunehmen.
Den Wein »Montre cul« hätte ich mir gerne (schon seines Namens wegen) von der reizenden Verkäuferin des Käsereiladens der Fromagerie Berthaut zum Probieren einschenken lassen, heute mussten wir aber aufbrechen. Wir haben uns aber vorgenommen, wiederzukommen.
Ich bin froh, eine Rolle Käse der Marke »Aisy Cendré« mitgenommen zu haben, das ist Käse aus Époisses, der in der Asche aus Weinreben gereift ist und auch mit ihr gegessen wird. Von aussen betrachtet, sieht das Stück Käse seltsam aus. Les apparences sont souvent trompeuses. (Der Schein trügt oft.) Diese köstliche Spezialität haben wir streng rationiert. Viel genutzt hat es nicht, er war viel zu schnell gegessen.


Das Häuschen, in dem wir in der Touraine wohnen durften, liegt unmittelbar an einem kleinen Bachlauf, der die Mühlen von Reignac, unserem Ferienort, angetrieben hat. Debby und ich lernen auf unserer Morgenrunde die beiden Esel kennen, zu denen wir kommen, wenn wir über die kleine alte Steinbrücke gleich vor dem Haus gehen. Der eine hat eine Röhre, die mich an ein gut abgehangenes Tenorsaxophon mit einer reichlich freien Improvisation erinnert. Übrigens schon gegen fünf Uhr morgens, zusammen mit dem Zwerghahn, der sich mit einem anderen Hahn eine bataille liefert. Den Zwerghahn hätte ich gerne auch portraitiert, habe ihn aber immer nur gehört und nie gesehen. Seiner Stimme nach schätze ich ihn höchstens 10 cm hoch.



Die ersten Tage in der Touraine sind noch angenehm sommerlich warm, wir wissen aber schon, dass eine Hitzewelle anrollt.
Frühaufstehen ist angesagt, wenn man mit Frühstück noch vor Beginn der Hitze Eindrücke sammeln will. In Chenonceau haben wir überlegt, ob Louis XIV nicht glücklicher ausgesehen hätte, wenn er statt einer Allongeperücke eine anständige Kurzhaarfrisur gehabt hätte. Eine kleine Dame mit Kleidchen und apartem Hut ist in allen Räumen vor mir und machte mit ihrem Handy Fotos. Nur von den Gemälden – dann eilt sie mit winzigen Trippelschritten zum nächsten Bild.
Die Touraine wird der Garten Frankreichs genannt: An den Flusstälern der Loire, der Indre und ihren Nebenflüssen kann man schon (sofern man über die nötigen Mittel verfügt), auf den Gedanken verfallen, sich ein Schlösschen zu bauen.
Wir verzichten auf Luftschlösser aller Art und halten uns an die am Weg liegenden Chateaus. Hunde dürfen auf dem Arm des Herrchens auch gerne mit besichtigen. Ich bin froh, dass Debby nicht größer und schwerer ist. Im Château Azay-le-Rideau sind wir mit ihr in dem prachtvollen, offenen Treppenhaus bis unter den riesigen Dachstuhl geklettert; die Eichenbalken dort sind nicht ganz so alt, wie jene in Notre-Dame de Paris, vermitteln aber einen Eindruck von der Zimmermannskunst, die nötig ist, um eine solche Konstruktion zu erschaffen – und von dem, was im April beim Brand der Kathedrale Notre Dame in Paris verloren gegangen ist.
Auch die Museumsverwaltung im Schloss Chenonceau gestattet, dass kleine Hunde auf dem Arm mit ins Schloss dürfen. So kann Debby Blumengestecke und die Wandteppiche betrachten. Zumindest könnte sie es. Sehr eindrucksvoll und erholsam kühl in der sommerlichen Hitze ist die Apotheke von Caterina de’ Medici.
Die Galerie des Schlosses überspannt den Cher wie eine Brücke, und es gibt an beiden Ufern Eingänge. Der Cher bildete während der deutschen Besatzung die Demarkationslinie zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Teil Frankreichs. Tatsächlich konnten durch das Schloss von den Deutschen verfolgte Menschen in die relative Sicherheit des unbesetzten Teils Frankreichs gelangen. Diese Geschichte beschäftigt mich. Ich bin dankbar, im Europa von heute zu leben und nicht in dem von 1942.






Ich kann mich nur schwer von dem kleinen Haus am Bach zu verabschieden. Die schattige Stelle hinter dem Haus, an der der Bach gestaut ist, ist ein wunderbarer Platz, an dem ich die Beine im Wasser baumeln und lesen, nachdenken oder einfach nichts tun kann. Den größeren Teil von Barbara Tuchmans Klassiker »Der ferne Spiegel« habe ich hier gelesen: eine spannend geschriebene Darstellung des 14. Jahrhunderts.
Besser kann sich das kein Regisseur für einen Film, in dem französische Idylle gezeigt werden soll, ausdenken. Die Frösche springen von dort mit großem Sprung ins Wasser, wenn ich mir diese Stelle mit ihnen teilen will.

Jetzt sind wir in der Bretagne. Unschwer an den Hortensien und Felsen, überhaupt an den vielen Blumen zu erkennen. Die Bretonen lieben Blumen.
Wir sind zwar nicht südlicher als in der Touraine, sogar etwas nordöstlich davon in der Gegend von Morlaix. Kerstin findet das Licht schon ziemlich südlich.



Wir haben unsere Ferienwohnung in einem großen alten Haus mit vier oder fünf Appartements und gucken von unserem Küchentisch auf die Küste. Tja, ich weiss es nicht genau: Ist es der Ärmelkanal oder schon die keltische See? Jedenfalls ist es das Meer. Kiefern, Felsen, Möwen. Wir sitzen auf Felsen, nach Bedarf ein bisschen im Schatten, und essen im »Au Gouter Breton« in Plougasnou sensationelle Galettes Bretonnes. Auf meinem Crêpe Suzette ist reichlich Grand Marnier. Ich habe einen sitzen und bin glücklich.
Im Baedeckers würde es heissen: Lohnt einen Umweg!
Wenn das so faul weitergeht, werde ich mir meine fotografische Bastelei für nach dem Urlaub aufheben.
Es grüßen Euch herzlichst
Kerstin, Thomas und Debby

PS.: Meine Fotos hätte ich möglicherweise auch mit einem guten Handy machen können. Dazu kann ich mich aber nicht durchringen. Ich bin auch gerne einfach »offline«. Für meine Foto- Notizen nehme ich am liebsten ein ältere spiegellose Sony NEX7 mit APS- Sensor, komplett im manuellen Modus. Sie hat einen Sucher mit ausreichend großem Okular, speichert RAWs und hat gebraucht € 150 gekostet. Für professionelle Arbeit reicht sie nicht, ich verstehe aber nicht, wie man sich für so wenig Geld von einem so guten Gerät trennen kann (Der Neupreis war immerhin irgendwo bei 1000,–, und ihre Leistung ist immer noch exzellent)
Mit einem Adapter ist ein altes Zeiss Distagon 2,8 / 35mm montiert. Das Zeiss hat zwar eine T*- Vergütung, ist aber trotzdem ziemlich empfindlich für Reflexe bei Gegenlichtaufnahmen. Dafür ist es am kleinen Sensor eine wirklich scharfe Normalbrennweite ohne elektronisches Heckmeck. Damit mache ich die allermeisten Fotos. Im Rucksack liegen ganz unten ein manuelles Nikkor 1,4/ 50mm und, wenn ich mir Zeit nehme, ein 28er Shift- Nikkor mit einem soliden Adapter von Novoflex. Die hole ich aber nur heraus, wenn mich die Lust an halbwegs ernster Arbeit überkommt. Irgendwann macht der Fotograf vielleicht doch ein bisschen Urlaub…
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